Luppenau

    Vogelperspektive - Eine ornithologische Wanderung -

SAALE-ELSTER-AUEN-KURIER - November 2014
Autor: I.Bakkal

Im vergangenen Jahr traf ich eine Stockente an der Schwanenhavel. Sie bewachte auf geringe Distanz ihre Jungen, die unmittelbar am Ufer, gut getarnt im hohen Gras, schliefen. Die pausenlos vorbeifahrenden Kanus ertrug sie mit der Gelassenheit eines Zoo-Tieres. Als ich die Kamera auf sie richtete, drehte sie ihren Kopf günstig ins Halbprofil und verharrte bewegungslos bis ich fertig war, obwohl ich, weil mich die sanfte Strömung davontrug, immer wieder zurückpaddeln und neu ansetzen musste. Vor längerer Zeit fotografierte ich in einem holländischen Hafen einen Spatzen. Der pickte, auf den Fingerspitzen sitzend, Brotkrumen aus dem Handteller eines Kindes und ließ sich nichteimal von der auf das T-Shirt gedruckten Katze stören. Und dann, in diesem Sommer  in Kienitz an der Oder, der Schwan Hugo, der erst von dem Dessert abließ, als ihm die Wirtin mit der ausgezogenen Sandalette auf den Schnabel schlug. 

Mit diesen durchweg positiven Erfahrungen in der Vogel-Fotografie begab ich mich, mit gut 8 kg einschlägiger Technik im Rucksack,  am 11. Oktober zu einer Ornithologischen Herbstwanderung am Wallendorfer See. Der Morgen war diesig, die Vögel nicht da oder weit weg in der Kiesgrube. Ein guter Grund, die ganze Aufmerksamkeit dem Ornithologen zuzuwenden. Reinhard Schwemler aus Wallendorf, der auch Naturschutzbeauftragter ist, gewährte einen Einblick in seine Arbeit, die aus interessanter Naturbeobachtung, aber auch stundenlangem Erfassen von Flugbewegungen und statistischer Auswertung besteht .

Mehr als 250 Vogelarten wurden an unseren Seen nachgewiesen. Gegenwärtig dominieren die Graugänse, wenn auch gerade auf den Feldern unterwegs. Später im Jahr kommen tausende Saat- und Blässgänse hinzu, von denen die ersten bereits gesichtet wurden.  Die wachsende Population der Nilgänse gehört nicht hierher, ist jedoch  heimisch geworden und verteidigt „ihr“ Revier aggressiv. Sie ist aus Parkvögeln hervorgegangen.
Die Verbreitung fremder Arten ist ein grundsätzliches Problem. Auch Mink und Waschbär stören das biologische Gleichgewicht und setzen hier  insbesondere den Uferschwalben zu. Ob die Jagd auf die fremden Räuber Abhilfe schaffen wird, ist offen.
Tausende Möwen gehören zu den Besuchern, die hier regelmäßig   rasten. Besondere Aufmerksamkeit erfährt aber eine einzelne, für diese Region untypische, Spatelraubmöwe aus dem Hohen Norden Russlands.
Bestimmte Uferbereiche, die Inseln und die Kiesgrube stellen sensible Lebensräume für seltene und geschützte Vögel  dar, die an unseren Seen brüten. Das Blaukehlchen, beispielsweise, benötigt Weidengebüsch und Schilf zum Brüten und als Singwarte, Schlammbereiche und Sandbänke zur Nahrungssuche. Deshalb verschlechtert ein hoher Wasserstand die Lebensbedingungen für sie und andere Brutvögel, was zur Abwanderung führt. 
So beglückend die Beobachtung oder der Erstnachweis seltener Arten für den Vogelfreund ist, (nicht jeder ist Ornithologe und mancher Fotograf fragt, was er da eigentlich auf dem Monitor hat), gibt es auch frustrierende Erfahrungen. In jüngster Vergangenheit wurden 22 Flussuferläufer durch  Störung von ihrem Schlafplatz im Inselbereich vertrieben, der Bruterfolg einer Beutelmeise durch Zelten vereitelt und die Brut eines Blaukehlchens durch Feuer zerstört. Man kann davon ausgehen, dass den Verursachern diese Folgen überhaupt nicht bewusst sind. Die meisten Menschen reagieren einsichtig auf entsprechende Hinweise. Die meisten…

Als ich durch das Spektiv mit 60-facher Vergrößerung schaute,  erschrak ich, saß mir doch der mit bloßem Auge kaum erkennbare  Kiebitz mit seiner charakteristisch geschwungenen Kopffeder nahezu auf der Nase. Nur wenigen Menschen wird diese Qualität der Naturbeobachtung möglich und damit bewusst, was es hier Schützenswertes und Besonderes gibt. Die seit drei Jahren durchgeführten jahreszeitlichen Ornithologischen Wanderungen erreichen nur wenige ohnehin Interessierte. Es sollte keine unlösbaren Interessenkonflikte zwischen Naturschutz und Bürgern, die sich mit gebotenem Respekt in der Natur aufhalten und erholen möchten oder ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen, geben.
Eine allgemein zugängliche Information ist dringend geboten. Wer versteht, dass die Inseln im Wallendorfer See ein wichtiger, weil vor Mink, Waschbär und Fuchs geschützter Lebensraum sind, wird wahrscheinlich die Bedeutung der Betonnung verstehen. Die Vögel sind an die Strände und Stege gewöhnt. Die Wasservögel haben sich, erst unter den konkreten Bedingungen der Nutzung durch Anwohner und Gäste, in einer vormaligen Tagebaulandschaft angesiedelt.  Definierte Rückzugsräume sollten wir ihnen lassen. Wer freut sich nicht über den Adler hoch am Himmel, aber es gibt auch die Kleinen, Unscheinbaren, Seltenen…
Nachdem der Ornithologe fort war, kamen die Graugänse. Sie flogen auf, als mir eine ungeschickte Bewegung passierte. Schönes Foto.
Wie oft sie sich das gefallen lassen? Ich weiß es nicht.  

Ich bedanke mich bei Herrn Reinhard Schwemler für die Mitarbeit an diesem Beitrag.

Ilja Bakkal